Als ich zur Schule kam, schrieb man das Jahr 1957 und an den Schulen trieben noch so einige Alt-Nazis ihr Unwesen, die auf Zucht und Ordnung wert legten. Damals liefen die Lehrer noch mit dem Rohrstock in der Hand über den Schulhof und genossen großen Respekt. Auch die Eltern hatten kein Problem damit. Wie sollte sich schließlich ein Lehrer in der Klasse durchsetzen, wenn nicht mit dem Stock in der Hand.
Wobei diese Praxis nicht nur auf Deutschland beschränkt war. Auch im übrigen Europa wurde Erziehung ganz selbstverständlich mit grell aufleuchtenden Striemen verbunden, die dem Nachwuchs auf Hintern und den Schenkel gezeichnet wurden. Die Schotten und Franzosen benutzten dafür eine mehrschwänzige Riemenpeitsche, die in Frankreich als Martinet bekannt war. In anderen Ländern war ein schöner, breiter Lederriemen im Gebrauch und in Deutschland war es eben der Rohrstock und in ländlichen Regionen auch die Weiden- oder Birkenrute.
Ungleichheit vor dem Gesetz
In Deutschland beschränkte sich allerdings die Angst vor dem Rohrstock vor allem auf die Jungs. Sie waren nämlich die einzigen, die damals in der Schule den Stock zu spüren bekamen. In Form von Tatzen auf die ausgestreckte Hand. Oder auf über die Schulbank gebeugt auf den Hintern, nachdem ihnen die Hosen stramm gezogen wurden. Mädchen durften im Deutschland nach dem Krieg nicht geschlagen werden. Keine Ohrfeige, kein Rohrstock. Nichts.
Zu Hause sah das allerdings ganz anders aus. Da bekam die Tochter nämlich nach wie vor Mutters Kochlöffel und Vaters Ledergürtel zu spüren. „Eine Tracht Prügel hat noch niemand geschadet“, lautete die landläufige Meinung und praktisch alle Eltern hielten sich daran. Es war die Zeit, als der Vater noch als Herr des Hauses galt und nicht wenige verhielten sich wie kleine Herrscher und legten eigene Gesetze fest, an die sich jeder zu halten hatte.
„Ein Mädchen schlägt man nicht“, das hat man damals schon jedem kleinen Jungen beigebracht und im Gegensatz zum Familienleben hielt sich auf Anordnung des Staates auch jeder Lehrer daran. Außer an den Privatschulen, auf die vor allem die betuchten Eltern ihre Töchter schickten. Die waren damals noch streng nach Geschlechtern getrennt und der Stock galt sowohl für männliche, als auch weibliche Hinterteile als das noch immer wirksamste Erziehungsmittel.
Ich verbrachte meine ersten Lebensjahre in Pforzheim. Dort gab es damals noch ein reines Mädchengymnasium. Es nannte sich Hilda-Gymnasium, wurde aber im Volksmund nur Ziegenschule genannt. Dort landeten vor allem katholische Mädchen, deren Eltern großen Wert darauf legten, dass ihre Tochter so lange wie möglich von jedem Kontakt mit Jungs ferngehalten wurde. „Führe uns nicht in Versuchung“ lautete schließlich ein geliebtes Gebet und ein schwangeres Mädchen, das noch nicht verheiratet war, war so ziemlich die größte Katastrophe, die einer katholischen Familie passieren konnte.
Der Nachteil, männlich zu sein
Wie die unterschiedliche Handhabung der Mädchen und Jungs erklärt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin damals davon ausgegangen, dass Mädchen eben einfach viel zarter und empfindlicher sind und daher geschont werden mussten. Warum das nur auf die Schule zutraf, zu Hause aber nicht, konnte ich mir auch nicht erklären.
In der öffentlichen Gesetzgebung wird in Sachen Züchtigung noch heute zwischen Mädchen und Jungs und zwischen Männern und Frauen unterschieden. In Singapur gibt es zum Beispiel genaue Regeln, wie ein Mann gezüchtigt werden darf. Und es gibt unzählige Vergehen, für die er zu einer genau vorgeschriebenen Anzahl von Stockhieben verurteilt werden kann. Zur körperlichen Züchtigung von Frauen findet man hingegen im gesamten Gesetzeswerk kein einziges Wort.
Genau dasselbe Bild beherrscht die Gesetzgebung in den übrigen asiatischen Ländern. Allerdings macht man an den Schulen in Korea, Japan und China keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. In diesem Teil der Welt wird der Lehrer noch immer als Respektsperson gesehen und dazu gehört auch das Recht, innerhalb bestimmter Grenzen einen Rohrstock oder ein hölzernes Paddel zu benutzen.
Ein besonderes Thema ist das Militär. Hier war es bis ins 19. Jahrhundert hinein allgemein üblich, dass die Missachtung von Befehlen oder auch andere Vergehen, mit dem Stock geahndet wurden. Doch solche Regelungen sind mittlerweile so gut wie verschwunden.
Man kann also durchaus sagen, dass die Männer, was die körperliche Züchtigung angeht, weitgehend benachteiligt sind. Sie warn daher die eigentlichen Nutznießer, als irgendwann in den 60er Jahren in einem Land nach dem anderen die Benutzung des Stocks oder eines anderen Instruments generell untersagt wurden.
Weibliche Zucht im Wandel der Zeit
Bevor ein Junge zum Mann wird, ist sein Interesse an Mädchen praktisch nicht vorhanden. Ganz im Gegenteil, Mädchen sind langweilig und doof. Sie spielen mit Puppen und bleiben dabei meist unter sich. Aber sie können auch zickig sein und es gibt praktisch keinen Jungen im Vorschulalter, der mit Mädchen nichts zu tun haben will und ihnen gegenüber nur Gefühle zwischen Spott und Hass empfindet.
Im katholischen Kindergarten in Pforzheim gab es in den 50er Jahren eine Schwester Walburga, die als äußerst streng bekannt war. Damals waren katholische Bildungseinrichtungen allgemein für ihre rigide Strenge bis hin zur Misshandlung bekannt. Schwester Walburga zeichnete jedoch eine Besonderheit aus, die mich damals mit unverhohlener Schadenfreude erfüllte. Sie züchtigte die Jungs mit einem dünnen Stock und die Mädchen mit einem schmalen Lederriemen.
Doch es gab einen entscheidenden Unterschied. Den Jungs wurde dabei der Hosenboden stramm gezogen und es gab sechs streng durchgezogene Hiebe, deren Spuren im Verborgenen blieben. Den Mädchen jedoch schlug Schwester Walburga das Röcken hoch und zog dann das Höschen stramm zwischen die Pobacken. Danach zeichnete sie ebenfalls sechs Hiebe auf das ungeschützte Fleisch und ließ die kleine Sünderin in Tränen zurück.
Recht geschieht‘s ihr, waren damals meine Gedanken, denn auch für mich waren Mädchen einfach nur nervig und es war mir eine Genugtuung, wenn sie zum Schreien gebracht wurden.
Wobei das Vorgehen der grimmigen Schwester alles andere als unüblich war. In der Zeit vor den allgegenwärtigen Jeans trug praktisch jedes Mädchen und auch jede Frau einen Rock. Der äußerlich erkennbare Unterschied zwischen den Geschlechtern war nie wieder so eindeutig wie in den 50er und 60er Jahren. Dann kam Unisex und man musste manchmal schon genau hinsehen, um zwischen einem weiblichen und einem männlichen Po zu unterscheiden.
Auch an den Mädchenschulen der damaligen Zeit hieß es für ein Mädchen, das den Unterricht gestört oder sonst etwas angestellt hatte, sich über den Tisch zu beugen, um ihre Strafe entgegenzunehmen. Auch ihnen wurde ausnahmslos der Rock hochgeschlagen, der sonst ohnehin im Weg war. Strafende Schläge waren daher um einiges direkter als für die Jungs, was meinen damaligen Glauben an die grundsätzlich schwächeren und empfindlicheren weiblichen Wesen eigentlich ad absurdum führte.
Wobei es in den weitaus meisten Ländern dieser Welt, in denen die körperliche Züchtigung noch heute die Regel ist, interessanterweise nach wie vor eine gewisse Benachteiligung und auch Demütigung des Weibes gepflegt wird. Eine Freundin von mir, die als Jugendliche einige Zeit in Japan lebte, beschrieb es zum Beispiel wie folgt:
„Die Lehrer trugen als Zeichen ihrer Autorität und Macht stets einen kurzen Rohrstock mit sich. Mädchen und Jungs bekamen den gleichermaßen zu spüren. Doch die Mädchen waren schon grundsätzlich benachteiligt, weil ihre Schuluniform grundsätzlich aus einem mehr oder weniger kurzen Rock bestand und jeder Hieb zumindest teilweise auf dem entblößten Schenkel landete. Sie mussten auch nach der Züchtigung vor dem Lehrer auf die Knie gehen und sich demütig und mit gesenktem Haupt für die Zurechtweisung bedanken. Bei den Jungs hingegen genügte eine höfliche Verbeugung, um ihrem Lehrmeister Respekt zu erweisen.“
Männer und Frauen und natürlich auch Jungs und Mädchen wurden also noch nie gleich behandelt und sind es eben auch nicht.