Eine Beziehung stirbt immer ganz langsam

Für Außenstehende ist es meist die ganz große Überraschung, wenn sich zwei trennen, die viele Jahre zusammen waren. Wer die beiden näher kennt, hatte oft schon eine Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Aber auch die betreffenden selbst wissen ganz genau, dass das Ende nicht von jetzt auf morgen gekommen ist, sondern eine oft jahrelange Vorgeschichte hat.

Er hat sie betrogen, heißt es oft und jeder schimpft auf die bösen Männer, die einfach nicht treu sein können und jedem Weiberarsch hinterherlaufen. Sie hat ihn verlassen, heißt es kurz und bündig und nicht selten ist sie von diesem Augenblick die Schlampe, die es mit jedem treibt, der ihr schöne Augen macht. Doch die Wirklichkeit sieht meist ganz anders aus und das, was Außenstehende mitbekommen, ist meist nur die Endphase nach einem langen Prozess der Entfremdung

Denn Menschen trennen sich nicht einfach so. Sie gehen nicht von heute auf morgen auseinander. Sie streiten sich nicht, um dann nie wieder miteinander zu reden. Meist driften sie ganz langsam voneinander weg, ohne dass sie es selbst richtig merken. Ein Prozess, der nicht selten viele Monate, wenn nicht sogar Jahre dauert und sich meist in vielen kleinen Dingen manifestiert, die irgendwann einmal anfingen, um ganz allmählich zur Gewohnheit zu werden.

Am Anfang kam er immer mal wieder spontan in die Küche, während sie am Kochen war. Er küsste sie kurz in den Nacken, tätschelte liebevoll ihren Po und sie lächelte. Eine flüchtige Begegnung. Eine Geste der gegenseitigen Wahrnehmung. Ein Zeichen, dass die Welt zwischen ihnen im Lot war. Doch dann erlebte er plötzlich, dass sie sich ihm entzog. Das Lächeln blieb aus oder wirkte irgendwie nicht echt. Der leichte Klaps auf dem Po schien ihr unangenehm zu sein. Irgendetwas hatte sich verändert. Das spürte er instinktiv und verzichtete fortan auf dieses kleine Ritual.

Früher waren sie gelegentlich zusammen ausgegangen, auch wenn es nur eine Pizza beim Italiener war. Doch dann hatte sie zweimal hintereinander keine Lust dazu, ohne ihm einen Grund zu nennen. Beim dritten fehlgeschlagenen Versuch gab er es schließlich auf und ein weiterer dieser kleinen Wir-Momente war Geschichte. Ohne erkennbare Ursache. Einfach so.

Genauso wie die gemeinsamen Abende bei einem Glas Wein und unendlichen Gesprächen über die großen und kleinen Themen des Lebens. Er hatte es geliebt, ihr zuzuhören und dabei die geradezu sinnlichen Bewegungen ihrer Lippen zu beobachten. Er schätzte durchaus ihre Sicht der Dinge, auch wenn er manchmal völlig anderer Meinung war. Sie war eben eine Frau und dachte wie eine Frau. Und anstatt über Differenzen zu streiten, regte sich eher sein Verlangen und sie landeten irgendwann im Bett oder blieben einfach eng umschlungen auf der Couch liegen.

Wann das alles aufgehört hatte, konnte er nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Irgendwann ersetzte der Fernseher die Dialoge und jeder ging ins Bett, wenn die Müdigkeit dazu aufforderte. Wieder war ein Stück wir verschwunden, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gegeben hätte. Man nahm sich zwar noch passiv wahr, aber man sah sich nicht mehr in die Augen. Man lachte und scherzte zwar weiterhin mit Freunden, aber zu Zweit kehrte dann wieder Stille ein.

Das Leben funktionierte währenddessen weiter. Nur die gemeinsamen Inhalte waren irgendwie verschwunden. Man redet durchaus noch miteinander, aber eigentlich nur wenn es etwas konkretes zu besprechen gab. Darüber hinaus ging jeder seine eigenen Wege und machte sein Ding. Eine schleichende Veränderung, die sie aber für sich behielten. Denn nach außen gaben sie nach wie vor das nette Paar von nebenan, bei dem die Welt in Ordnung zu sein schien.

Ein kleines, spontanes Kompliment schien in dieser Situation irgendwie Fehl am Platz zu sein. Auch ein spontanes Lächeln war die große Seltenheit. Aber das Leben blieb bestehen und ging weiterhin seinen unauffälligen Gang. Zum Geburtstag gab es nette Geschenke und die üblichen Glückwünsche. Zu Weihnachten wurde der Baum geschmückt und man lud pflichtgemäß die Familie ein. Für den Urlaub wurde eine Reise gebucht, weil man das eben so tut. Doch aus dem Miteinander war längst ein Nebeneinander geworden , dass keinem gefiel, aber aus dem auch niemand einen Ausweg wusste.

Die meisten Paare trennen sich nicht, weil sie sich nicht mehr lieben. Die Liebe ist nur noch eine verblassende Erinnerung an frühere Zeiten, während die Gegenwart einfach belang- und ereignislos ist. Sie gehen daher ohne Hass auseinander, weil die Stille einfach unerträglich geworden ist.

Dabei findet eine Beziehung nicht im Bett statt, um seine sexuellen Bedürfnisse auszuleben. Das tut sie vielleicht in den ersten paar Wochen. Doch diese Phase ist schnell vorbei und beide sind trotzdem glücklich. Weil sie sich haben. Weil sie sich richtig gern haben und weil es schön ist, gemeinsam durchs Leben zu gehen.

Denn eine Beziehung ist nicht Sex und Leidenschaft. Eine Beziehung ist vor allem Kommunikation. Ihr Handlungsort ist der Küchentisch beim allmorgendlichen gemeinsamen Frühstück. Ihr Bindeglied sind gemeinsame Erlebnisse, die durchaus nicht nur im Urlaub stattfinden müssen. Ihre Höhepunkte sind sommerliche Grillabende im Garten und winterliche Spaziergänge im wärmenden Mantel. Eigentlich keine großen Augenblicke, sondern eher die kleinen Begegnungen des Alltags, in denen man Gedanken austauscht, in Erinnerungen schwelgt, Pläne schmiedet oder einfach nur das Wirsein genießt. Denn wir alle sind soziale Wesen. Wir mögen zwar unsere kleinen privaten Momente der Zurückgezogenheit. Aber niemand will auf Dauer gerne allein sein.

Früher war ein Paar nie wirklich allein. Damals heiratete man noch ganz feierlich und mit der festen Absicht, für das ganze Leben verbunden zu bleiben. Die pure Zweisamkeit gab es ohnehin nur solange, bis sich das erste Kind ankündigte und die Ehefrau zur Mutter wurde. Außerdem gehörten Vater und Mutter, Oma und Opa mit zur Familie und das junge Paar war fest in die Sitten und Gebräuche eingebunden. Kinder gehörten ganz selbstverständlich dazu, den praktikable Verhütungsmittel waren unbekannt. Für echte Zweisamkeit war eigentlich gar keine Zeit, denn es war ständig irgendetwas los. Familienfeste verteilten sich über das ganze Jahr, denn je größer die Familie war, desto mehr Geburtstage gab es zu feiern.

Vielleicht hängt die Kurzlebigkeit der heutigen Beziehungen auch damit zusammen, dass es diese enge Einbindung in das soziale Umfeld nicht mehr gibt. Paare leben heute isoliert vom Rest der Familie, denn dazwischen liegen oft große Entfernungen und Kontakte sind auf WhatsApp beschränkt. Das schränkt das tägliche Lebensumfeld ein und soziale Kontakte spielen nicht mehr die ganz große Rolle. Ein Paar ist dadurch weitgehend auf sich selbst angewiesen und nicht selten genau damit überfordert.

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