Arbeitslos: Einfach den Anschluss verpasst

In Deutschland gibt es etwa 2,5 Millionen Arbeitslose. Das sind zumindest die offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die daraus eine Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent errechnet hat. Eine nicht gerade geringe Zahl bei einer Bevölkerung von knapp 83 Millionen. Doch irgend etwas scheint hier nicht zu stimmen.

Will heute keiner mehr arbeiten?

Fragt man einen Gewerkschafter, dann erfährt man, dass vor allem die zunehmende Automatisierung schuld ist, dass so viele Menschen keinen Job haben. Und natürlich die Unart der Industrie, die Produktion zunehmend ins Ausland zu verlegen, wo menschliche Arbeit eben noch richtig billig ist und sich folglich zu einem Bruchteil der hiesigen Kosten produzieren lässt. Das klingt einleuchtend, denn jeder kennt einen, der schon hundert Bewerbungen losgeschickt hat und noch immer zu keinem Job gekommen ist. Doch es ist nur die halbe Geschichte.

Immer wenn ich es mit mittelständischen Unternehmen zu tun habe, bietet sich mich nämlich ein völlig anderes Bild. Da wird mir erzählt, dass man händeringend nach Fachkräften suche und einfach keine finde, mit denen man etwas anfangen könne. Keine Facharbeiter für die Produktion. Keine Ingenieure für die Produktentwicklung. Keine Spezialisten für Vertrieb und Marketing. Dass dem tatsächlich so ist, sieht man an dem, was Unternehmen tun, um neue Mitarbeiter anzuwerben. Sie veranstalten Jobmessen, um Mitarbeiter aus der Region auf sich aufmerksam zu machen. Sie pflegen enge Kontakte zu Hochschulen und Universitäten, um an Studienabsolventen heranzukommen. Sie laden sogar Schulkinder zu Praktika ein, um Auszubildende zu finden.

Wie kann das sein, wenn es Millionen von Menschen gibt, die einen Job suchen und keinen finden? Eigentlich müssten die Unternehmen doch an Bewerbungen ersaufen und in der Lage sein, sich die Besten herauszupicken.

Arbeitssuche mit dem Wissen von gestern

„Klar bekommen wir ständig Bewerbungen,“ verriet mir ein Personalchef, als ich ihm mein Unverständnis ausdrückte. Ich war gerade daran beteiligt, einen aufwendigen Videofilm zu produzieren, mit dem man das Unternehmen als guten Arbeitgeber präsentieren wollte. „Das Problem ist aber meist die Motivation und die unzureichende Ausbildung.“

Motivation? Ausbildung? Gibt es nicht genügend Ingenieure auf dem Markt, die liebend gerne wieder als Ingenieure arbeiten würden? Sind die alle zu faul und leben lieber vom Arbeitslosengeld?

Die gibt es, wurde mir bestätigt. Eine Aussage, die ich schon von vielen Unternehmen gehört hatte. Aber die Technologie hat sich rasant weiterentwickelt und was ein Ingenieur vor 30 Jahren einmal gelernt hat, verlangt heute keiner mehr. Die Analogtechnik ist der Digitaltechnik gewichen und wer sein Studium noch in der analogen Welt der Dioden und Transistoren gemacht hat, lässt sich für die Entwicklung eines Mikrochips eben nicht einsetzen. Genauso wie ein Programmierer aus der Cobol-Zeit einfach das falsche Wissen hat, wenn er Anwendungen für das Web entwickeln oder auch nur einen Mikroprozessor programmieren soll.

Das kann ich gut nachvollziehen. Auch in der Kommunikationsbranche, aus der ich komme, läuft heute alles ganz anders als es früher einmal war. Ich kann mich an Grafiker erinnern, die noch fleißig ihre Layouts auf die Pappe klebten, während andere schon am Macintosh saßen und mit QuarkXpress arbeiteten. Und an Setzer, die über die schlechte Satzqualität solcher DTP-Systeme lächelten, während sie weiter Manuskripte abtippten und Satzfahnen produzierten.
Satzfahnen braucht heute niemand mehr. Den Beruf des Setzers gibt es folglich nicht mehr. Auch die Grafiker sind ausgestorben. Statt dessen studieren die jungen Leute heute Mediengestaltung und kümmern sich nur noch nebenbei um Printprodukte.

Einige Grafiker der alten Schule hatten seinerzeit die Zeichen der Zeit erkannt und sich rechtzeitig auf die neuen Arbeitsprozesse eingestellt. Einige Setzer haben noch einmal eine neue Ausbildung angefangen und das gleiche erreicht. Die anderen gingen irgendwann zum Arbeitsamt oder in Frührente.

Abschied aus der analogen Welt

Die Arbeitslosen von heute sind also zu einem großen Teil Leute, die Jahrzehnte lang einfach nur ihren Job gemacht haben, bis es den eines Tages nicht mehr gab. Weil ihr Wissen Vergangenheit war und keiner mehr danach verlangte. Oder weil alte Technologien durch neue abgelöst wurden. So gab es zum Beispiel in St. Georgen im Schwarzwald irgendwann ein Riesenheer arbeitsloser Feinmechaniker, die seit Generationen in der dortigen Uhrenindustrie gearbeitet hatten. Doch die gute alte Junghans verkaufte sich eben nicht mehr so gut, als Digitaluhren mit Quarzpräzision den Markt eroberten.

Wobei die Digitalisierung noch ganz andere Umwälzungen ausgelöst hat. Wo früher ein geschulter Feinmechaniker mit viel Erfahrung und Augenmaß Präzisionsteile hergestellt hat, bestimmen heute vollautomatische CNC-Bearbeitungszentren das Bild. Und wo früher Männer und Frauen ohne größere Qualifikation Autos zusammengeschraubt haben, schwenken heute Industrieroboter ihre stählernen Arme. Was kein Nachteil ist, wie ich meine, denn meist waren es unendlich monotone Scheißjobs, die damit weggefallen sind.

Mangelnde Qualifikation ist also ein ganz wesentliches Element, um das große Heer der Arbeitslosen zu erklären. Entweder weil sie überhaupt nicht vorhanden ist. Oder weil sie auf überholtem Wissen beruht, das nicht mehr gebraucht wird. Wer nichts anderes beherrscht, als einfache Handarbeiten, der wurde eben mittlerweile von der Automatisierung abgelöst. Oder er ist einfach zu teuer geworden und seinen Job wird jetzt in China erledigt.

Kein Job, kein Stress

Bei irgend einem Business Meeting saß ich neben einem Personalberater. Auch mit ihm diskutierte ich über Fachkräftemangel auf der einen und Arbeitslose auf der anderen Seite. Und er rückte einen völlig anderen Gesichtspunkt in den Vordergrund:

„Wer ein Jahr arbeitslos war, den kann man meist komplett abschreiben,“ war seine Beobachtung. Besonders im unteren Einkommensbereich würden die Menschen sehr schnell lernen, dass der Unterschied zwischen ihrem Nettoeinkommen und Hartz IV so groß eigentlich gar nicht ist. Da liegt es für manchen ganz einfach nahe, doch lieber das Leben zu genießen, als den schönsten Teil des Tages mit unbefriedigender Arbeit zu verbringen. Was ich, ehrlich gesagt, gut nachvollziehen kann.

Auch die, die man eigentlich noch ganz gut vermitteln könnte, so die Meinung meines Gesprächspartners, sind nach einem Jahr vergeblicher Jobsuche so apathisch geworden, dass sie einfach nicht mehr den Schwung für einen Neuanfang aufbringen. Dazu kommt, dass es in vielen Unternehmen heute anders zugeht als in ihrem bisherigen Berufsleben. Heute sind immer weniger Mitarbeiter gefragt, die einfach nur ihren Job machen. Gesucht werden vielmehr Leute, die selbstständig denken, sich einbringen und eigenverantwortlich arbeiten können. Damit sind Leute in den späten Fünfzigern meist überfordert. "Die denken eigentlich nur noch daran, die Zeit bis zur Rente irgendwie zu überbrücken."