Kommunikation: Wer schuld ist, ist doch völlig egal

Ein Produkt macht Probleme. Die Kunden machen ihrem Unmut Luft. Die Produktion ist zum Stillstand gekommen. Die Entwicklung ist ratlos. Der Kundendienst dreht allmählich durch. Das Call Center steht kurz vor dem Kollaps.

Die Geschäftsleitung beruft eine Krisensitzung ein.

Die Sitzung dauert bis in die Nacht. Jeder hat sich vorbereitet. Die Entwicklung wiegelt ab. Schließlich waren alle Tests positiv. Die Produktion präsentiert Zahlen und kann kein Qualitätsproblem erkennen. Der Vertrieb schimpft auf alle. Der Kundendienst äußert Vermutungen. Eine Lösung ist nicht in Sicht, denn es geht allein um die Schuldfrage und keiner will‘s gewesen sein.

Genau darin liegt das Problem. Denn es gehört zu einem der größten Irrglauben der Menschheit, dass man nur den Schuldigen finden muss, um das Problem zu lösen. Einer, auf den man mit den Fingern zeigen kann, der es verbockt hat, der jetzt gefälligst für Abhilfe sorgen soll. Schließlich ist er schuld und die anderen haben nichts damit zu tun.

Dabei ist die Schuldfrage der größte Hemmschuh in unserem Zusammenleben. Nicht nur in der Wirtschaft. Auch in der öffentlichen Verwaltung, in der Regierung. Und vor allem im privaten Leben, in der Beziehung, in der Familie. Denn weil Menschen Angst davor haben, schuld zu sein, treffen sie lieber keine Entscheidung als eine falsche. Weil sie keinen Fehler machen wollen, scheuen sie jedes Risiko und gehen auf Nummer sicher. Oder sie werden zu Bedenkenträgern, die alles infrage stellen und es am Ende immer besser gewusst haben.

Ich weiß nicht, ob dieses Verhalten typisch deutsch ist. Vielleicht ist es einfach hierzulande besonders ausgeprägt. Aber es ist ein Verhalten, das konserviert, das Neues verhindert und das Alte erhält auch wenn es sich längst überlebt hat. Denn wer sich in neues Gelände wagt, bleibt vielleicht stecken und gilt am Ende als Versager. Wer hingegen auf sicherem Terrain bleibt, hat immer das sichere Gefühl, nichts falsch gemacht zu haben.

Wer ist der bessere Heiratskandidat? Der junge Unternehmer, der gerade ein Startup-Unternehmen gegründet hat und sich voll ins Zeug legt, weil er später einmal ganz groß herauskommen will? Oder nicht doch der angestellte Betriebswirt, der den ganzen Tag im mausgrauen Anzug herumläuft, aber pünktlich zum Monatsende ein beeindruckendes Gehalt auf dem Konto hat? Und wer kriegt wohl leichter Geld von der Bank, wenn er ein Haus bauen will? Ganz sicher der Beamte, der bis ans Lebensende einen sicheren Job hat und nicht die junge Familie, die dringend Platz für den Nachwuchs braucht. Ganz zu schweigen vom Freiberufler, der noch nicht einmal auf ein geregeltes Einkommen verweisen kann.

Denn der Familienvater ist hinterher selbst schuld, wenn er seinen Job verliert und die Hypothek nicht mehr tragen kann. Und der Freiberufler hat sich eben „übernommen“, wenn er in Geldnot gerät, weil ein Kunde nicht zahlen kann.

Ein Grund, weshalb die weitaus meisten Menschen lieber auf Nummer sicher gehen. Sie verharren lieber in einem mies bezahlten Job, anstatt sich selbstständig zu machen und in die eigene Tasche zu wirtschaften. Und wenn sie eines Tages entlassen werden und altkluge Personalchefs meinen, sie seien zu alt für eine neue Anstellung, sind eben die anderen schuld – die Unternehmer, die Regierung, die Ausländer, ganz gleich wer, eben die anderen.

Jeder, der eine Entscheidung trifft, läuft Gefahr irgendwann schuld zu sein, wenn sich die Entscheidung als falsch herausgestellt hat. Und jeder ist von Menschen umgeben, die selbst nie etwas entscheiden, aber hinterher alles besser gewusst haben. Vermutlich ist ein Großteil der Ehescheidungen genau darauf zurückzuführen. Als der Mann entschieden hat, eine schicke Wohnung im angesagten Viertel zu kaufen war er der Größte und seine Frau trug ihre Nase ein klein wenig höher. Doch als sich das Blatt wendete und er in eine wirtschaftliche Schieflage geriet, ist es dieselbe Frau, die sich zu seiner größten Kritikerin entwickelt. Er hat einen Fehler gemacht Er hat die falsche Entscheidung getroffen. Er ist ein Looser, von dem man am besten Abstand nimmt.

Denn die Schuldfrage steht im Mittelpunkt. Nicht das Problem. Und erst recht nicht die Suche nach einer Lösung.

Dabei ist die Sache doch eigentlich ganz einfach. Wer keine Entscheidungen trifft, der wird sich ein Leben lang auf der Stelle drehen. Sein Leben wird in den immer gleichen Bahnen verlaufen und er wird von vielen Dingen nur träumen können, die Andere einfach verwirklichen. Er hat zwar nie etwas falsch gemacht. Aber er hat eben auch nichts erreicht.

Wer hingegen mutige und mitunter auch riskante Entscheidungen trifft, hat zumindest die Chancen auf seiner Seite. Sein Leben wird interessant, turbulent, inhaltsreich und vielleicht sogar äußerst erfolgreich verlaufen. Aber es kann sich auch zur Achterbahn aus Höhen und Tiefen entwickeln. Und er kann sogar richtig herb abstürzen. Aber er hat es zumindest versucht und wenn er nicht ganz ungeschickt war, hat er am Ende ein besseres Leben gehabt als der kleine Angestellte, der immer nur so viel hatte, dass er davon leben konnte.

Denn wer viele Entscheidungen trifft, wird auch viele Fehler machen. Aber jeder dieser Fehler ist eine neue Erfahrung und jede geglückte Entscheidung bringt ihn voran. Er muss sich nur von dem Gedanken lösen, dass er an irgend etwas „schuld“ ist, wenn es nicht geklappt hat. Denn die Schuldfrage stellen ohnehin nur die, die selbst keine Entscheidungen treffen. Dafür führen sie eben ein Leben, das von den Entscheidungen Anderer geprägt ist.

Die Schuldfrage stellt sich nämlich überhaupt nicht. Denn Fehler werden passieren und sie sind in Wahrheit keine Katastrophen, sondern lediglich Chancen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ganz gleich, ob ein neues Produkt Probleme macht, ob etwas in der Ehe schief gelaufen ist oder eine Investition nicht die erhoffte Rendite gebracht hat. Wer hier den Schuldigen sucht, verfällt nur in einen uralten Reflex, der noch nie ein Problem gelöst hat.

Denn Lösungen entstehen nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Und wenn man von Leuten umgeben ist, die dazu nicht gewillt sind, sollte man sich von ihnen trennen und sich andere Mitstreiter suchen. Denn das Leben lässt sich nicht im voraus bestimmen und Entscheidungen kann man nur aufgrund der momentanen Umstände und der aktuellen verfügbaren Informationen treffen. Und beides kann sich ändern, was die richtige Entscheidung von heute zur falschen Entscheidung von morgen macht.

Deshalb ist es nicht fair, den Entscheider von gestern zum Buhmann von heute zu machen, der an allem schuld ist. Ganz besonders dann nicht, wenn man selbst nichts zur Entscheidung beigetragen hat.