Energiewende: Wunder dauern etwas länger

Wenn von der Energiewende die Rede ist, erheben meist schnell diejenigen das Wort, die wenig wissen, aber dies umso lauter kundtun wollen. Und weil die Menschen gerne einen Schuldigen haben, den sie für alles verantwortlich machen können, was nicht so rund läuft, ist schnell die Kanzlerin ausgemacht, die auch dieses Thema mal wieder verbockt hat. So jedenfalls sieht das Bild im November 2017 aus – in einem Monat, in dem die Windparks in Schleswig-Holstein Probleme damit hatten, den erzeugten Strom überhaupt loszuwerden und manche von ihnen mangels Nachfrage komplett abgeschaltet wurden.

Denn das Blatt hat sich längst gewendet. Die Windenergie läuft schon lange nicht mehr unter ferner liefen und auch die allgegenwärtigen Solaranlagen auf den Dächern leisten mittlerweile einen substanziellen Beitrag zur Versorgung mit elektrischer Energie. Das Problem ist nämlich nicht die erneuerbare Energie an sich. Schwierig ist die Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage und eine echte Herausforderung sind technische Lösungen, die erst noch entwickelt werden müssen.

Problem zwischen Angebot und Nachfrage

Der Grund dafür ist die Tatsache, dass man sich weder auf die Sonne noch den Wind verlassen kann. Der Wind treibt an der Küste ein Spiel, das sich zwischen einer tagelangen Flaute und einem heftigen Orkan bewegt. In einem Fall bleiben die Windkraftanlagen einfach stehen, im anderen müssen sie abgeschaltet werden, um nicht heiß zu laufen. Im Bereich der Fotovoltaik sieht es nicht viel anders aus. Eine Solaranlage liefert Energie satt, solange die Sonne scheint. Bei bewölktem Himmel reicht es meist gerade mal für den Hausgebrauch. Und nachts wird überhaupt kein Strom produziert.

Das heißt, auf konventionelle Kraftwerke kann man vermutlich nie vollständig verzichten. Denn ein thermisches Kraftwerk, das mit Gas, Öl oder Kohle befeuert wird, erzeugt rund um die Uhr genau dieselbe Menge elektrischer Energie. Ein Stromfluss, auf den man sich verlassen kann, solange es nicht zu einer technischen Störung kommt. Dasselbe trifft auf alle Wasserkraftwerke zu, hinter denen ein großer Stausee steht, der immer wieder vom Regen aufgefüllt wird. Anders gesagt: Erneuerbare Energie allein ist auf absehbare Zeit eine Utopie.

Sicherheit dank Stromnetz

Es gab Zeiten, da hing jede Stadt an einem einzigen Kraftwerk und wenn das ausfiel, war eben ganz einfach der Strom weg. Dass das möglichst nicht mehr vorkommt, ist einer gigantischen Vernetzung unter allen Stromerzeugern zu verdanken. Das unter Fachleuten Grid genannte Stromnetz sorgt dafür, dass bei Ausfall einer Energiequelle oder Unterbrechung einer Leitung weiterhin Strom durch die Leitungen fließt. Nur nimmt er eben dann andere Wege, denn das Netz ist international und Strom wird an einer Börse europaweit gehandelt.

Drücken bei heftigem Westwind tausende von Windkraftanlagen Energie ins Netz, entsteht ein Überangebot. Dann sinkt der Preis und alles ist gut. Tun sie sich schwer damit, überhaupt Energie zu erzeugen, ist es umgekehrt. Ein Grund, weshalb es mittlerweile unzählige Projekte gibt, in denen sich Ingenieure den Kopf darüber zerbrechen, wie man diese Schwankungen entschärfen könnte.

Modellprojekt Norddeutsche Energiewende

Ein Beispiel dafür ist NEW 4.0. Die Norddeutsche Energiewende ist eine Initiative des Landes Schleswig-Holstein und der Hansestadt Hamburg. Sie wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert und soll anhand einer Modellregion zeigen, wie eine Energieversorgung mit 100% Ökostrom aussehen könnte. Eine kühne Aufgabe, denn viele der dafür erforderlichen Techniken müssen erst noch erfunden und zur Marktreife entwickelt werden.

Einen Schwerpunkt bildet dabei die Speicherung elektrischer Energie. Das kann zum Beispiel durch Windparks geschehen, die mit gigantischen Batteriespeichern ausgestattet sind, in die sich überschüssige Energie einspeisen lässt. Es gibt jedoch auch Projekte, die sich mit der Umwandlung elektrischer Energie in andere Energieformen beschäftigen. So wird zum Beispiel gerade eine Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff aufgebaut, die erhebliche Mengen an elektrischer Energie frisst. Sie kann beliebig an- und abgeschaltet werden und eignet sich daher ideal, um mit dem Strom Wasserstoff zu erzeugen, den gerade sowieso niemand braucht. In dem Modellversuch sollen die Busse einer ganzen Stadt auf Wasserstoff umgerüstet werden, um diese Energie sinnvoll einzusetzen.

Ein anderer Weg besteht darin, Strom fressende Maschinen und Anlagen möglichst nur dann anzuwerfen, wenn genügend Strom durchs Netz geistert, der nach Abnehmern sucht. Dafür wurden Industriebetriebe mit besonders hohem Energiebedarf in das Projekt aufgenommen und man arbeitet an intelligenten Steuerungen, die sich irgendwann vollautomatisch darum kümmern sollen, dass Angebot und Nachfrage möglichst gut aufeinander abgestimmt sind.

Das könnte dann zum Beispiel dazu führen, dass die heimische Tankstelle für das E-Mobil erst nachts zu ihrer vollen Leistung hochfährt. Dann nämlich, wenn die Lichter und Fernseher allmählich dunkel werden, niemand mehr den Backofen braucht und auch Industrie und Handwerk ruhen.

Die Wende wird also kommen. Nur eben nicht von heute auf morgen.