Beziehungen: Alles toll, solange alles passt

Wenn ich früher hörte, dass etwas „passt“, dann dachte ich an Türen, die ohne Schleifgeräusche zugingen, Spaltmaße bei Autos oder harmonierende Farben und Formen. Dass man den Begriff auch auf Menschen anwenden kann, habe ich erst kennengelernt, nachdem ich meinen Wohnsitz in die Hamburger Gegend verlegt hatte.

Großstadtmenschen ticken eben anders als jede in der Provinz. Hier trifft man sich nicht einfach abends auf ein Bier, sondern achtet peinlich genau darauf, sich immer in der richtigen Szene zu bewegen. Man geht nicht einfach unbekümmert zum Italiener an der Ecke, sondern bewegt sich mit der schwarzen Limousine quer durch die Stadt, wo man bei Luigi einen Tisch reserviert hat. Und das schon Tage im voraus, denn er ist derzeit der „angesagte“ Italiener, bei dem sich alle treffen, die etwas auf sich halten.

Das passt doch alles perfekt

Meine erste Hamburger Bekanntschaft benutze sie des Öfteren, die Formulierung „das passt ja ausgezeichnet“. Sie redete dabei nicht von meinem tadellos sitzenden Anzug, den ich für das Date angezogen hatte. Sie war davon begeistert, dass ich ein Ferienhaus an der Küste besaß und darüber nachdachte, während der Woche in der Stadt zu leben. In Hamburg natürlich, denn das ist für Hamburger die einzige Stadt, die überhaupt infrage kommt. Ein Mann mit Feriendomizil und einer schicken Wohnung in der City, das war ganz nach ihrer Vorstellung.

Was ihr noch nicht ganz passte, war mein Outfit. Viel zu bieder, meinte sie. Und noch dazu mit dem falschen Label. Also schleppte sie mich zu den angesagten Herrenausstattern und kleidete mich erst einmal richtig ein. Danach war meine Brille dran und zum Schluss hieß es ab zum Friseur und die grauen Haare auf Millimeterformat stutzen. Ich nahm es hin, denn es war durchaus nicht zu meinem Nachteil. Auch wenn das eigentliche Motiv wohl darin bestand, mich so herzurichten, dass sie mich ihren Freundinnen präsentieren konnte.

Sie selbst war übrigens eine schlichte Hausfrau mit zwei Teenies im Schlepptau, die mehr oder weniger vom Unterhalt ihres Ex lebte. Der war offensichtlich gut betucht, verbrachte die Wochenenden gerne auf Sylt und die Ferien in der Finca auf Mallorca. Es hatte also alles gepasst in ihrem Leben. Bis auf die Tatsache, dass ihr Mann ein ziemliches Arschloch war und sich seinetwegen alle ihre Geschwister entnervt von ihr zurückgezogen hatten.

Beziehung mit Bilanz im Kopf

Ich habe anschließend noch weitere Großstadtneurotikerinnen mit Hamburger Anschrift kennengelernt, deren Lebensstrickmuster sich ebenfalls nach dem Prinzip „passt“, „passt nicht“ oder „passt nicht mehr“ richtete. Der passende Mann musste nicht nur rein äußerlich etwas hermachen. Er musste auch zum vorhandenen Freundeskreis passen. Das heißt, er musste geeignet sein, um wohlwollende Akzeptanz, anerkennende Zustimmung und im Idealfall blanken Neid auszulösen.

Wobei das wichtigste Kriterium natürlich sein sozialer Status war und der wurde bei solchen Oberflächendenkern natürlich allein an den dazu gehörenden Symbolen festgemacht. Wo wohnte er? Wie wohnte er? Welches Auto fuhr er? Wo verbrachte er seinen Urlaub? In welchen Kreisen bewegte er sich und welche Markenzeichen waren dezent in seine Kleidung gestickt? Natürlich war auch der Beruf von entscheidender Bedeutung. Genauer gesagt das dahinter vermutete Einkommen. Passte das alles, hatte man seinen Traummann gefunden.

Die Damen dahinter waren übrigens nur selten mit ihren hoch angesiedelten Vorstellungen kompatibel. Dafür bewegten sie sich in seiner Begleitung vorzugsweise in den Shoppingvierteln, in denen der Preis eines Kleides schnell ihr verfügbares Monatsgehalt erreichte. Und sie erwarteten natürlich, dass er an der Kasse ganz locker seine Kreditkarte zückte, um sich um die lästigen Formalitäten zu kümmern. Er wiederum wusste, dass sie ihn für seine Großzügigkeit fürstlich belohnen würde. Sie würde in der folgenden Nacht wie Butter in seinen Armen dahinschmelzen. Und sie würde ihm einen Orgasmus vorspielen, der es in sich hatte. Jeder investiert eben, was er hat und wenn die Bilanz stimmt, ist alles in Ordnung.

Ich möchte nicht wissen, wie viele Ehen und eheähnlichen Beziehungen in unserer Welt nur deshalb fortbestehen, weil die Betreffenden etwas voneinander haben. Weil sie aufeinander angewiesen sind und viel verlieren würden, wenn die Sache zu Ende geht. Sie sind in Wirklichkeit ein komplerxes Geflecht von Abhängigkeiten, das sich kaum entwirren lässt und bei einer Scheidung zum totalen Desaster führen würde. Ich muss immer daran denken, wenn ich die stumm ausdruckslosen Gesichter von Paaren sehe, die im schicken Outfit ihre Rolle spielen, aber schon seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander gefickt haben und auch kein Interesse daran haben. Es passt eben alles nicht mehr.

Lack ist immer nur Oberfläche

Der eingangs genannten Mutti bin ich übrigens schnell überdrüssig geworden. Ich kleide mich zwar gerne ansprechend. Aber ich halte Shopping nicht für eine interessante Freizeitbeschäftigung, sondern eher für notwendiges Beiwerk. Und ich habe eine sensible Antenne dafür, wenn mich jemand manipulieren und in Situationen bringen will, in denen ich nicht mehr frei in meinen Entscheidungen bin. Ich achte auch bei einem Restaurant in erster Linie auf die Küche als auf das Ambiente oder das Viertel, in dem es sich befindet. Und ich kenne interessantere Gesprächsthemen als Mode, Urlaub und die Meinung anderer Leute.

Vor allem aber ist mir egal, ob in einer Beziehung alles passt und das Nehmen und Geben in einem für mich vorteilhaften Verhältnis steht. Mir ist es wichtiger, dass eine Frau mich so liebt, wie ich bin, und hinter mir steht, wenn es mal nicht so gut läuft. Ich schätze es, wenn ihre Küsse keinen Anlass brauchen und ihr Orgasmus echt ist. Und sie kann alles von mir haben, wenn sie nicht darauf spekuliert und ständig darüber nachdenkt, ob sie im Verhältnis dazu nicht zu viel investiert.

Deshalb bin ich wohl auch nie nach Hamburg gezogen.