Digitale Nomaden: Arbeiten wo andere Urlaub machen

es ist der Traum, den viele träumen. Doch nur wenige schaffen es, ihn zu verwirklichen. Die Rede ist von Freiberuflern und unter denen vor allem diejenigen, die ihrer Arbeit dort nachgehen, wo andere gerne Urlaub machen würden. Früher war das bestenfalls Künstlern vorbehalten. Doch die Welt hat sich geändert und die Digitalisierung hat einen völlig neuen Typ von Freiberuflern geschaffen. Man nennt sie die digitalen Nomaden.

Ich kann mich noch gut an meinen alten Kollegen Alain erinnern. Alain war Franzose und lebte mit seiner Frau in einem kleinen Städtchen in der Pfalz. Das heißt, eigentlich lebte er nur selten dort, denn am liebsten hielt er sich in der Provence auf. Dort hatte er sich nämlich in einem kleinen Dorf ein verfallenes Haus gekauft und es mit viel Eigenarbeit wieder hergerichtet. Das war irgendwann Anfang der 90er Jahre. Zu einer Zeit also, in der noch niemand vom Internet sprach und Daten bestenfalls per Modem übertragen werden konnten. Das heißt, wenn an beiden Enden jemand war der wusste wie das geht.

Alain hatte das Glück, an sehr umfangreichen Übersetzungsprojekten zu arbeiten, die es ihm erlaubten, mehrere Wochen unterzutauchen und dort zu arbeiten, wo er sich zu Hause fühlte. Seine Kunden bekamen davon nicht viel mit, denn wenn sie ihn anriefen, klingelte das Telefon irgendwo im kleinen Luberon und wenn sie ihm ein Fax schickten, wurde auch das nach Frankreich umgeleitet. Alain war schon damals ein digitaler Nomade, auch wenn es den Begriff seinerzeit noch gar nicht gab.

Mittlerweile stecken wir voll drin in der Digitalisierung. Das Internet ist omnipräsent, ganz gleich ob wir auf dem Handy schnell die eMails checken, auf dem Tablet die neuesten Nachrichten lesen oder im Büro an einer Videokonferenz teilnehmen. Für viele ist es sogar völlig egal, ob sie im Büro oder zu Hause arbeiten, denn in der Firma wird ohnehin nur digital kommuniziert und dem Internet ist es egal, von wo aus sich jemand zuschaltet. Es gibt sogar komplett virtuelle Unternehmen wie zum Beispiel Todoist, der Hersteller der wohl besten Time Management Software. Das Unternehmen kommt ohne kostspieliges Headquarter aus, denn seine Mitarbeiter sind überall auf der Welt verstreut und arbeiten von zu Hause aus – oder wo immer sie gerade sind.

Schon als Freiberufler genießt man eine ganze Reihe von Freiheiten, von denen ein Angestellter nur träumen kann. Man muss sich nicht vorschreiben lassen, wann und wie lange gearbeitet wird. Man muss sich keinen Urlaub genehmigen lassen, der dann auch noch auf 4 Wochen im Jahr beschränkt ist. Und man steckt nicht zweimal am Tag im Stau, weil man immer zu den Zeiten unterwegs sein muss, in denen alle auf Achse sind. Dafür hat man dann zwar kein regelmäßiges Gehalt, das pünktlich zum Ersten auf dem Konto ist, sondern muss sich auf recht unregelmäßige Einkünfte einstellen. Aber man ist auch nicht von einen einzigen Arbeitgeber abhängig, der einem jederzeit kündigen kann, sondern lebt von mehreren Kunden, die aller Voraussicht nach nicht alle auf einmal verloren gehen.

Einem digitalen Nomaden ist aber selbst das noch nicht Freiheit genug. Er hat sich daher nicht nur für ein Leben als Freiberufler entschieden, sondern nutzt darüber hinaus gezielt die Vorteile der Digitalisierung. Daher kommt für ihn kein Beruf infrage, den man nur als Angestellter ausüben kann. Er will auch keiner Arbeit nachgehen, bei der man an einen bestimmten Standort gebunden ist. Er bewegt sich ganz bewusst in einem Berufsfeld, für das man nicht mehr braucht, als einen Notebook und einen Internet-Zugang.

Freiheit ist also nichts, was einem einfach so zufällt. Man muss sich von Anfang an dafür entscheiden und dann sein ganzes Leben darauf ausrichten. Wer Familie und Kinder will, hat da eher schlechte Karten. Wer eine vertraute Umgebung braucht, den Sportverein, die Abende mit Freunden und die Nähe zur Familie, hat ebenfalls nicht das Zeug zum Nomaden. Menschen sind eben unterschiedlich und jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Er darf sich nur nicht beklagen, wenn seine Lebensentscheidung Konsequenzen hat.

Ein digitaler Nomade ist nämlich bereit, den Preis für Freiheit und Unabhängigkeit zu bezahlen. Ist surfen seine Leidenschaft, dann wohnt er vermutlich am Meer, auch wenn das weit weg von Freunden und Familie ist. Reist er gerne, dann lebt er vielleicht in einem Wohnmobil und geht seiner Arbeit überall da nach, wo es ihm gerade gefällt. Ist er gerne draußen in der Natur, dann wohnt er eben in einem Bergdorf, wo die Hektik des urbanen Lebens weit weg ist. Lässt er sich auf eine Frau ein, dann muss es eine sein, die seine Interessen teilt und kein Nest bauen will.

Digitale Nomaden wollen nämlich vor allem eines: möglichst viel Freiheit und möglichst viel von dem, was man heute Work Life Balance nennt.

Reisen kostet normalerweise viel Geld und der Durchschnittsmensch gibt nicht selten ein ganzes Monatsgehalt aus, nur um zwei Wochen Urlaub zu machen. Der digitale Nomade hingegen lebt ganz einfach da, wo andere Ferien machen. Und da lebt es sich nicht selten erheblich billiger als in der Großstadt mit ihren hohen Mieten, die nicht selten bereits das halbe Einkommen schlucken. Und Geld, das man nicht Monat für Monat ausgeben muss, dass muss man auch nicht verdienen. Und wenn man es verdient, dann hat man es eben für schönere Dinge übrig.

Es gibt sogar digitale Nomaden, die haben diese Lebensphilosophie auf die Spitze getrieben. Sie haben überhaupt keine feste Adresse mehr, sondern entdecken die Welt, während sie sich mit ein paar Stunden am Notebook das Geld dafür verdienen. Ein Wohnort findet sich immer, mal ein billiges Hotel und dann wieder eine kleine Wohnung. Wie es gerade kommt. Wobei das Essen in der Fremde meist spottbillig ist weil es keinen Staat gibt, der tausend Gebühren erhebt und jedes Mal mitverdienen will, wenn Geld den Besitzer wechselt.

Wenn man einmal nachrechnet, wie viel Geld man in einem Jahr allein für Wohnung, Strom und Heizung ausgibt, ist das eigentlich ein ernster Grund, sich Gedanken über unsere Lebensweise zu machen. Wenn man dann noch weiß, dass der Staat einem Durchschnittsverdiener durch direkte und indirekte Steuern, offene und verdeckte Abgaben und unzählige Gebühren gut ¾ seines Einkommens abnimmt, ist das eigentlich eine Aufforderung, über konkrete Gegenmaßnahmen nachzudenken. Als Angestellter hat man dabei keine Chance. Als Freiberufler kann man sich nur sehr bedingt zur Wehr setzen. Als digitaler Nomade lebt man eben da, wo man unbehelligt bleibt und nicht im staatlichen Überwachungsnetz gefangen ist.