Recht zu bekommen hat seinen Preis

Wir leben in einem Rechtsstaat. Das glauben zumindest die meisten Menschen und verweisen auf tausend Gesetze. Doch eigentlich ist es wie immer, wenn es um Glauben geht: Irgendetwas ist vielleicht dran, aber der Rest existiert nur in der Vorstellung des Einzelnen. Das merkt er spätestens dann, wenn er tatsächlich einmal um sein Recht kämpfen muss und merkt, dass Recht zu bekommen erst einmal Geld kostet.

Recht hat man nämlich zunächst einmal nur auf dem Papier. Oder eben nicht. Doch Recht haben und Recht zu bekommen sind zwei ganz verschiedene Themen. Es ist eben nicht alles im Leben haargenau in einem Gesetz geregelt. Und es gibt Gesetze, die so schwammig formuliert sind, dass man im Ernstfall ewig darüber streiten kann. Manchmal scheint eine Situation auch sonnenklar zu sein und dann kommt ein bestimmtes Detail zum Vorschein, das alles auf den Kopf stellt. Oder der „gesunde Menschenverstand“ sagt das eine, die Juristen sind jedoch einer völlig anderen Meinung.

Eben diese Juristen verdienen ihr Geld mit der Unzulänglichkeit der Gesetze auf der einen und der Streitlust der Menschen auf der anderen Seite. Unter vernünftigen Menschen lassen sich nämlich die meisten Probleme in einem einfachen Gespräch aus dem Weg räumen. Sprich, man setzt sich hin, redet darüber, findet eine Lösung, mit der irgendwie jeder leben kann, und das Thema ist abgehakt. Aber leider gibt es nicht nur vernünftige Menschen. Es gibt auch solche, die ihr ganzes Leben nur aus der Ich-Perspektive sehen und in jeder Situation um jeden Preis Recht haben wollen.

Um jeden Preis und einen Preis hat dieses Recht fast immer.

Das merkte ich zum ersten Mal, als ich daran ging, mein Traumhaus zu bauen. Ein Solarhaus sollte es sein. Eine etwas ungewöhnliche Konstruktion aus Holz und Glas. Ein nachhaltiges Gebäude, das viel Sonnenenergie aufnimmt und nur halb soviel Heizöl braucht, wie sonst üblich. Dafür brauchte ich einen Zimmermann und der hatte genaue Pläne, nach denen er arbeiten konnte. Natürlich hatten wir einen festen Preis ausgemacht, doch wie Handwerker so sind, fand er natürlich tausend Dinge, die dieser Preis eben nicht abdeckt. Bis es mir zu bunt wurde und ich meine Zahlungen einstellte.

Es kam zu dem üblichen Schlagabtausch zwischen Anwälten und am Ende saßen wir im Wartebereich vor dem Gerichtssaal und guckten uns grimmig an.

„Ist es Ihnen eigentlich bewusst, welches Prozessrisiko Sie eingehen,“ fragte mich mein Anwalt und ich musste gestehen, diesen Begriff noch nie gehört zu haben. Ich ging damals noch ganz naiv davon aus, dass sich gleich ein Richter die Sache anhören und Recht sprechen würde. „Der Richter wird heute nichts anderes tun, als Beweisantrag zu stellen. Das heißt, er wird einen Gutachter beauftragen und den müssen Sie bezahlen. Die Gegenseite wird natürlich ein Gegengutachten machen und so kann es eine ganze Weile weitergehen. Wenn dann am Ende ein Urteil gesprochen wird, sind zu den 4.000 Euro, die Sie nicht zahlen wollen, noch mal 4.000 Euro an Kosten für Gutachter, Anwälte und das Gericht entstanden. Wenn der Richter es sich einfach macht – und davon kann man ausgehen – kommt es zu einem Vergleich und sie zahlen genau die 4000 €, die sie eigentlich nicht zahlen wollten. Außerdem haben sie bis dahin gut 5 Tage Ihrer Lebenszeit mit diesem Thema verbracht und absolut nichts gewonnen.

Er riet mir zu einem Vergleich und ich zahlte am Ende knapp 3000€ und die Sache war erledigt.

Ich bin mir sicher, in einem simplen Streitgespräch mit dem Zimmermann hätten wir uns vermutlich ebenfalls i der Mitte getroffen und die Kosten für Gericht und Anwälte wären gar nicht erst entstanden.

Ich habe mich seitdem nie wieder vor Gericht über irgendetwas gestritten. Ich habe seit diesem Vorfall gut 40.000 € verloren, weil Kunden meine Rechnungen nicht zahlen konnten oder wollten. Aber mehr als einen Mahnbescheid habe ich nie verschickt. Wenn einer absolut nicht zahlen will, dann wird er sich querstellen und tausend Gründe finden. Man wird sich vor Gericht treffen und am Ende wurde viel Geld verkocht und keiner ist glücklich mit dem Ergebnis. Wenn einer nicht zahlen kann, dann kann ich ihn zwar bis in die Insolvenz treiben. Mein Geld bekomme ich deswegen aber trotzdem nicht.

Also ist es immer besser, den persönlichen Kontakt zu suchen und eine gangbare Lösung zu finden. Dadurch vermeidet man, schlechtem Geld noch mehr Geld hinterher zu werfen, das am Ende genauso verloren ist.

Wobei hier die oft unrühmliche Rolle der Gerichte nicht unerwähnt bleiben darf. Das fängt schon damit an, dass das Gericht erst einmal Geld verlangt, bevor es auch nur einen Finger rührt. Je höher der Streitwert, desto mehr will auch das Gericht verdienen. Was dazu führt, dass weniger solvente Menschen gar nicht erst vor Gericht ziehen, weil sie die damit verbundenen Kosten gar nicht aufbringen können. Das allein erzeugt schon Ungerechtigkeiten, denn wer es als einsamer Bürger mit einem großen Unternehmen oder gar dem Staat als Gegner zu tun hat, hat schon allein aus Kostengründen die schlechteren Karten.

Ich möchte nicht wissen, wie viele Versicherungen um eigentlich fällige Zahlungen herumgekommen sind, weil der Kunde ganz einfach Angst hatte, vor Gericht dafür zu streiten. Außerdem kann man davon ausgehen, dass sich nur wenige Bürger auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Staat einlassen, weil dieser grundsätzlich bis zur letzten Instanz klagt und der Kläger schnell vor dem finanziellen Aus steht, während irgendwo irgendein Beamter einfach nur stur seinen Job macht und keinerlei Konsequenzen für die Folgen seines Tuns befürchten muss.

Natürlich werden die Gerichtsgebühren erlassen, wenn jemand mittellos ist. Man nennt das dann Prozesskostenhilfe. Aber dafür muss man bereits so arm sein, dass es ohnehin nichts mehr zu holen gibt. Wenn jedoch das Einkommen die Grenzen der Unpfändbarkeit überschreitet, wird das Gericht auf seine Gebühren beharren, denn man ist ja per Definition nicht mittellos.

Recht zu bekommen ist also kein Recht schlechthin, das jedem Bürger zusteht. Es ist in den weitaus meisten Fällen auch eine Frage der Zahlungsfähigkeit. Im Extremfall ist es nämlich problemlos möglich, einen finanziell schwachen Gegner bis in die Insolvenz zu verklagen. Oder ein Prozess wird gar nicht erst geführt, weil der Kläger die Kosten für Gericht und Anwalt nicht stemmen kann. Oder weil ihm das Risiko eines finanziellen Verlusts zu hoch ist, der ganz schnell einen vier- bis fünfstelligen Betrag ausmacht.

Ein wesentlicher Teil dieses Risikos liegt am Verhalten von Richtern. Die sind nämlich immer seltener bereit, überhaupt ein Urteil zu sprechen. Vor allem bei Zivilprozessen zielen sie von vornherein auf einen Vergleich ab, der sie vor der Mühe bewahrt, sich mit einer Thematik auseinandersetzen und etwas entscheiden zu müssen. Oder sie versuchen, ihre eigentliche Aufgabe auf irgendwelche Gutachter abzuschieben, die meist schon seit vielen Jahren für dasselbe Gericht arbeiten und genau wissen, wie ihr Gutachten ausfallen muss, damit der Richter zufrieden und ihnen der nächste Auftrag sicher ist.

Über die Folgen ihres Tuns machen sich solche Richter nur wenig Gedanken.