Mobiltelefon: Wer immer erreichbar ist, ist selber schuld

Jeder behauptet heute von sich, frei, selbstständig und unabhängig zu sein. Doch in Wirklichkeit schaffen es die allerwenigstens, sich frei von einem kleinen Gerät zu machen, das permanent in ihr Leben funkt und ständig ihre Aufmerksamkeit fordert. Die Rede ist vom Handy, das sich ja mittlerweile eher Smartphone nennt. Dieses ständig vibrierende, piepsende und Melodien spielende Ding hat nicht nur die ständige Erreichbarkeit zur Pflicht gemacht. Es hindert uns auch daran, klare Gedanken zu fassen, Momente Zweisamkeit zu genießen oder einfach nur seine Ruhe zu haben. Das liegt nicht an dem Gerät selbst, das ja eigentlich viele gute Seiten hat. Es liegt allein daran, dass sich die meisten von uns nicht bewusst machen, dass sie nur dann Herr über ihr eigenes Leben sind, wenn sie wissen, was ein Flugmodus ist.

Als die ersten Mobiltelefone auftauchten, waren sie natürlich Statussymbole. Ihre Besitzer nahmen sich fürchterlich wichtig und betonten, wie entscheidend es für sie sei, jederzeit erreichbar zu sein. Damals kostete eine Minute mobil telefonieren noch 3 Mark, also umgerechnet rund 1,50 Euro. Dafür konnte man zu Zeiten der Deutschen Bundespost auch nach Amerika telefonieren. Aber das geschah ja von zu Hause aus. Das sah niemand und galt daher als „teuer“. Dafür konnte man sie überall beobachten: die Verkäufer in ihrem Leasing-Passat, die jeden  Stau nutzten, um mit irgend jemand zu telefonieren. Oder die Manager, die aus dem Meeting kamen und schon das Handy am Ohr hatten, um sich mitzuteilen.

Mittlerweile ist so ein Handy ein ganz banaler Alltagsgegenstand. Und in Form eines Smartphones kann es weit mehr als telefonieren. Es kann Twitter, Facebook, Internet und Banking. Es hat längst  den den Busfahrplan ersetzt, die tägliche Zeitung sowieso, die Wanderkarte in den Bergen und das Navi im Auto. Eigentlich kein Grund mehr, damit anzugeben, denn den Nimbus eines Statussymbols hat das Handy längst verloren.

Dafür hat man manchmal das Gefühl, dass mit dem Handy eine neue Form von Abhängigkeit in unser Leben eingezogen ist. Da mit jederzeit erreichbar ist, trifft man auch keine festen Verabredungen mehr, denn es könnte sich ja zwischenzeitlich etwas Wichtigeres, Interessanteres, Spannenderes ergeben. Man muss auch nicht mehr pünktlich sein, denn es genügt ja eine kurze Nachricht von unterwegs, um den Wartenden noch für eine halbe Stunde zu vertrösten. Währenddessen piepst und vibriert das Ding munter vor sich hin und verlangt ständig nach Aufmerksamkeit.

Früher haben die Leute in der U-Bahn Zeitung gelesen. Das war recht unbequem, denn so eine Zeitung ist einfach unhandlich. Heute starren sie auf ein 4-Zoll-Display, ganz gleich, ob sie an der Haltestelle warten, im Bus stehen oder über die Straße laufen. Denn, wie gesagt, das Ding piepst ständig und man will schließlich wissen, wer gerade meint, etwas zu sagen zu haben.

Ganz schlimm sind die Dauertelefonierer. Dank Flatrate ist das ja heute kein Kostenfaktor mehr und so bietet es sich eben einfach jederzeit und überall mit jedem zu telefonieren, der gerade nicht da ist. Auch wenn man mit den Kumpels am Stammtisch sitzt, oder gerade damit beschäftigt ist, ein neues Date einzufädeln. Telefonieren ist immer wichtiger und die individuell ausgesuchte Melodie bleibt penetrant in der Wiederholungsschleife, bis die grüne Taste gedrückt wurde. Selbst im Urlaub wird man ständig von den zu Hause gebliebenen Freunden genervt, die ganz sicher gehen wollen, dass man noch lebt.

So manchen erfüllt das ja noch immer mit einem Gefühl der Wichtigkeit. Ich telefoniere, also bin ich gefragt. Ich bin überall erreichbar, also verpasse ich nichts. Ich kann mich jederzeit melden, also bleibe ich in Kontakt.

Doch immer mehr Zeitgenossen geht das quirlige Ding in der Tasche zunehmend auf den Nerv. Denn wer ständig erreichbar sein kann, von dem wird Erreichbarkeit auch erwartet und das hat Folgen: Der Chef kann jederzeit ins Leben funken. Die Freundin will ständig wissen, wo man ist und was man so macht. Die Kids haben den Bus verpasst und wollen abgeholt werden. Die Bank teilt mit, dass gerade die Stromrechnung abgebucht wurde. In der WhatsApp-Gruppe wird gerade über das nächste Treffen diskutiert und bei Tinder, nein lassen wir das …

Dabei ist ja so ein Handy, Smartphone oder was immer durchaus ein Stück Freiheit, auf die man eigentlich nicht mehr verzichten möchte. Der Flieger verspätet sich? Eine Kurznachricht genügt und der Freund muss nicht nicht eine Stunde sinnlos am Flughafen rumstehen und spart obendrein noch die horrenden Parkgebühren. Der Stau scheint noch länger zu dauern? Schnell im Hotel anrufen, damit das Zimmer verfügbar gehalten wird. Der Wagen steht in der Werkstatt? Wir rufen Sie an, wenn sie ihn abholen können.

Doch ein Handy kann auch abhängig machen. Manch einer gerät geradezu in Panik, wenn das Ding streikt, geklaut wurde oder einfach nur der Akku leer ist. Es kann auch echt lästig werden, wenn der Liebste ein Kontrollfreak ist und sie auf Schritt und Tritt überwachen will. Es kann neue Zwänge und Abhängigkeiten erzeugen. Und es kann ganz schön nervig sein, wenn jeder zu jeder Zeit in jede beliebige Situation hinein platzen kann.

Aber das liegt eigentlich nicht am Mobiltelefon selbst, sondern an der Art, wie wir damit umgehen. Denn letztendlich kann jeder selbst entscheiden, wann er wie erreichbar sein will. Jeder kann sich die Freiheit nehmen, sein Gerät auszuschalten, wenn er sich in Ruhe mit jemand unterhalten will, wenn er in einer wichtigen Besprechung sitzt oder wenn er einfach nur ungestört sein will. Anrufe zur falschen Zeit gehen schließlich nicht verloren, sondern werden hinterher angezeigt, sodass man zurückrufen kann, wenn man es für wichtig hält.

Allerdings: Man muss es wollen. Man muss den Willen haben, über seine Erreichbarkeit selbst zu entscheiden. Man muss sich das Recht herausnehmen, die eigenen Zeiten der Ruhe, Konzentration oder Zweisamkeit selbst zu bestimmen. Man muss sein Handy bewusst nutzen und sich nur dann stören lassen, wenn man nichts dagegen hat. Man muss wissen, wo der rote Knopf ist. Oder zumindest der Flugmodus. Denn wer immer und überall erreichbar ist, kann auch schnell zum Sklaven der Anderen werden, die beliebig über die eigene Zeit verfügen und sich indiskret in jede Lebenssituation drängen.

Denn irgendwie ist es doch wie im Büro. Das einfache Angestellten-Volk hat ein Telefon auf dem Schreibtisch, das jederzeit klingeln kann. Der Mitarbeiter kann jederzeit aus seiner Konzentration gerissen, in seinen Gedanken unterbrochen und an seiner effizienten Arbeit gehindert werden. Vom Chef, von den Kunden, von den Kollegen, von der Familie zu Hause, von jedem, der die Nummer kennt. Wer jedoch etwas weiter oben in der Hierarchie steht, hat das Recht, sich abzuschirmen. Ein Hinweis an die Sekretärin genügt und das Telefon bleibt stumm, eMails werden nur einmal am Tag gelesen. Anrufer landen auf der To-do-Liste und werden bei Gelegenheit abgearbeitet. Was wichtig ist, wird selbst entschieden und alles andere bleibt außen vor.

In einer Welt der ständigen Erreichbarkeit ist es also ein wesentliches Stück Freiheit, sich auch mal abschirmen zu können, nicht erreichbar zu sein, andere warten zu lassen. Und es ist ein ganz wesentliches Zeichen für Unabhängigkeit selbst zu entscheiden, wann und wo man für wen zu sprechen ist.