Sexualität: Auch Männer haben Lust, oder eben nicht.

Männer können immer, wollen immer und sind eine ständige Gefahr für jede einigermaßen attraktive Frau. Das ist zumindest der Eindruck, den man gewinnen kann, wenn man die aktuellen Debatten liest. Männer sind ein Problem, so der allgemeine Tenor. Oft vorgetragen von Opfern männlicher Übergriffe (die es natürlich gibt) und medienwirksam verstärkt von den selbst ernannten Frauenrechtlerinnen, die meist dem Beruf einer Gleichstellungsbeauftragten oder Politikerin nachgehen.

Doch ist das wirklich so? Laufen Männer durch die Büros und Fußgängerzonen, während ihre Augen ständig das Terrain nach weiblichen Wesen absuchen, die sie besteigen können? Sind wir jederzeit bereit, jede flach zu legen, die sich nicht mit Händen und Füßen dagegen wehrt? Sehen wir in jeder Kollegin nur ein Objekt der Begierde, das es zu vernaschen gilt?

Mir ist dazu bei Zeit Campus ein Artikel begegnet, der ein völlig anderes Bild zeichnet. Nein, Männer wollen nicht immer. Nicht in jeder Situation und auch dann nicht, wenn die Frau äußerst attraktiv ist und noch dazu Bereitschaft signalisiert. Ganz im Gegenteil, auch wir fühlen uns manchmal sexuell belästigt, wollen einfach unsere Ruhe haben, ein Bier trinken, nett plaudern und danach nach Hause gehen.

Aber sexuelle Belästigung, das gibt‘s doch eigentlich nur bei Frauen. Ein Mann fühlt sich einfach nicht belästigt und sexuell erst recht nicht. Schließlich denkt er ohnehin die ganze Zeit nur an Sex und ist immer bereit, wenn sie Bereitschaft dazu signalisiert. Ein richtiger Mann ist schließlich schwanzgesteuert und würde sich so eine Gelegenheit nie entgehen lassen. Das weiß jede Frau, denn das liest sie ständig in den Magazinen, in denen Frauen für Frauen schreiben.

Männer kennen natürlich diese Erwartungshaltung und so findet so mancher Fick nur deshalb statt, weil er sich genötigt sieht, seine Männlichkeit zu beweisen. Und weil alles andere zu kompliziert wäre. Denn wenn sie nein sagt, ist das gesellschaftlich akzeptiert und er hat sich gefälligst daran zu halten. Tut er es, ist es ein Affront und sie hat das Recht beleidigt zu sein. Denn für einen Mann ist es normal, im Laufe seines Lebens unzählige Mal abgewiesen zu werden. Für eine Frau ist es eine schlimme Erniedrigung und er ist der Böse. Und das nicht nur beim ersten Mal, sondern auch in Beziehungen, die schon eine Weile bestehen.

Wollen und nicht wollen

„Mit einer meiner Ex-Freundinnen ist es öfters vorgekommen, dass ich müde und erschöpft war und keine Lust auf Sex hatte. Nach einer Weile war sie genervt, meinte, ich sollte mein Leben anders organisieren.“ Mit diesen Worten wird im oben erwähnten Artikel ein gewisser Ben zitiert. Er beschreibt damit ein typisches Beispiel dafür, dass auch Männer in Situationen geraten, in denen sie sich zu Sex gedrängt, ja genötigt fühlen, auch wenn ihnen eigentlich gar nicht danach ist.

Man stelle sich die Situation einmal genau andersherum vor: Er will und sie hat keine Lust. Er ignoriert ihren Widerstand und sie gibt schließlich nach. Er nimmt sie und sie lässt es passiv geschehen. Juristen würden hier sofort von sexueller Nötigung reden, wenn nicht sogar von Vergewaltigung.

Wobei die körperliche Reaktion auf beiden Seiten übrigens kein Indikator dafür ist, was hier wirklich abgegangen ist. Sie war feucht, obwohl sie sich vorher gewehrt hat? Das heißt noch lange nicht, dass sie es in Wirklichkeit doch wollte. Er hatte einen Steifen, obwohl er vorgab, zu müde zu sein? Auch das ist kein Beweis für sexuelle Erregung. Die Biologie lässt sich nämlich nicht immer vom Kopf her steuern und der Körper fährt manchmal ein völlig anderes Programm, als man eigentlich erwarten würde.

Leistungsdenken und Erwartungshaltungen

„Weil ich schnell kam, fühlte ich mich schuldig. Schuldig, dass ich es nicht geschafft hatte, der anderen Person Lust zu verschaffen. Schuldig, weil es gesellschaftlich schlecht angesehen ist, schnell zu kommen.“ Auch das ist die Aussage eines Mannes, einer der wenigen Männer, die überhaupt bereit sind, offen über ihre Gefühle beim Sex zu reden.

Sex ist nämlich nicht nur eine Sache, die sich nur zwischen zwei Menschen abspielt. Er ist auch längst kein Geheimnis mehr, das jedes Paar für sich behält. Sex ist öffentlich geworden und jeder kann in jedem Pornofilm sehen, wie guter Sex auszusehen hat und welche Spielarten es dabei gibt. Was kaum jemand weiß, ist dass so ein Akt normalerweise mit mehreren Kameras aufgenommen, die ihn aus allen erdenklichen Winkeln festhalten. Am Ende werden dann die einzelnen Szenen zusammengeschnitten und es entsteht der Eindruck als ob das Ganze fast eine halbe Stunde gedauert hat.

Entsprechend hoch sind daher auch die Erwartungen, die an richtig guten Sex gestellt werden. Schließlich hat sie gesehen, dass es geht und weiß, was von einem richtigen Mann erwartet wird. Seine Aufgabe ist es, sie zum Schreien zu bringen und er hat gefälligst so lange durchzuhalten, bis sie Zufriedenheit zeigt. Sonst ist er ein Schlappschwanz, ein Rein-raus-Typ, einer, des es einfach nicht bringt.

Dabei hat die Wirklichkeit wenig mit dem Set beim Porno-Dreh zu tun. Einmal, weil die meisten Stellungen nur für die Kamera erfunden wurden und viel zu anstrengend sind, um Spaß zu machen. Und dann, weil Sex eben kein Leistungssport ist und es nicht darum geht, möglichst lange

Zumindest sollte das nicht so sein, aber viele Menschen sind mittlerweile so auf Leistung getrimmt, dass das mit dem Sex einfach nicht mehr ganz easy angehen können. Weil er meint, zu wissen, was sie von ihm erwartet. Und weil sie glaubt, der Orgasmus ist das Maß der Dinge, auch wenn er nur gespielt ist. Denn entscheidend ist die Performance und die wird am Ende nach einer Punkteskala benotet.

Dabei ist Sex doch in Wirklichkeit nichts anderes als Kommunikation. Es ist der Austausch zwischen zwei Körpern, der alle Sinne einbezieht: hören und sehen, berühren und fühlen, riechen und schmecken, tun und geschehen lassen. Im Idealfall ist es ein gegenseitiges Nehmen und Geben, es geht um entdecken und entdeckt werden, um lieben und geliebt werden. Ganz gleich, ob daraus ein spontaner Quickie wird, oder ein abendfüllendes Liebesspiel vom Champagner davor bis zum Cognac danach.

Wenn er also das Gefühl hat, seine Rolle nicht zu erfüllen und ihre Erwartungen nicht zu befriedigen, sollte er sich nicht schuldig fühlen, sondern darüber nachdenken, ob das überhaupt die Beziehung ist, die er will.

Mögen und können

„Ich brauche eigentlich viel emotionale Nähe, Wärme und Vertrauen beim Sex. Wenn das nicht da ist, fühle ich mich manchmal ausgenutzt.“ Nein, das ist nicht die Aussage einer Frau. Das sind die Worte eines Mannes nach einer Nacht, die er so eigentlich nicht gewollt hatte. Nein, er wollte eigentlich nicht mit ihr schlafen, aber sie ging wohl davon aus und er hat das Spiel mitgemacht.

In Wirklichkeit stehen nämlich Männer viel öfter unter dem Druck, nachzugeben, mitzuspielen und Erwartungen zu erfüllen, als dies bei Frauen der Fall ist. Ist sie erst einmal in seiner Wohnung, geht sie ganz selbstverständlich davon aus, dass beide im Bett landen. Haben sie sich nach einem Streit wieder versöhnt, ist es doch das Mindeste, dass er ihr mit einem handfesten Fick zeigt, dass wieder alles OK ist.

Wobei er an dieser Stelle ein Problem hat, eben nur Männer haben können. Sein Schwanz reagiert nämlich nicht auf Befehl, sondern richtet sich erst auf, wenn irgendwo im Kopf das Verlangen dazu entstanden ist. Nicht einmal Viagra sorgt für eine gesicherte Erektion. Denn entgegen der weit verbreiteten Meinung funktionieren die blauen Pillen nur, wenn die Situation stimmt und der Mann erregt ist. Ganz gleich, ob diese Erregung durch optischen Reize ausgelöst wurde, oder dem eigenen Kopfkino entstammt.

Besonders in langjährigen Beziehungen funktioniert es nicht mehr, dass sie sich ihm nur nackt präsentieren muss, um sich über seinen Ständer freuen zu können. Das ist eigentlich völlig normal und eigentlich ein Zeichen dafür, dass es Zeit wird, in die nächste Phase der Zweisamkeit und Intimität einzutreten. Doch viele Frauen schimpfen an dieser Stelle nur über den miesen Kerl, der vermutlich längst eine Andere, Hübschere und vor allem Jüngere hat.

Wobei das oftmals auch stimmt. Aber der Grund ist ein völlig anderer. Viele Männer reagieren nämlich mit Panik, wenn sie nicht können, wenn es von ihnen erwartet wird. Denn ein Mann kann immer, so wurde es ihnen ein Leben lang eingehämmert. Wenn nicht, dann hat er ein Problem. Und zwar eines, das einer Katastrophe gleichkommt. Ein echter Supergau, mit dem kaum ein Mann umgehen kann.

Dabei sind Männer eigentlich nicht viel anders als Frauen. Auch sie haben manchmal Lust und manchmal eben nicht. Auch sie sind manchmal gestresst und einfach zu müde, um an Sex auch nur zu denken. Auch sie haben ihre Vorlieben und Abneigungen, Dinge, die Sie anmachen und andere, die der absolute Abturner sind. Und sie merken sehr wohl, ob sie sich extra für ihn hergerichtet hat, gut riecht und sich weich und zart anfühlt, oder ob es ihr irgendwie egal geworden ist.

Denn es gibt nicht nur den Rein-Raus-Typ. Es gibt auch die Genießer, die Sex als sinnliches Erlebnis sehen und mit einer Frau erst einmal auf einer persönlichen, emotionalen, intimen Ebene angekommen sein müssen, bevor sie in die Tiefe gehen. Und das klappt eben nicht mit jeder.

„Als ich mich etwas zurückgezogen hatte, sagte sie zu mir: "Findest du mich etwa hässlich?" Ich hatte das Gefühl, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, dass ich keine Lust habe.“

Nein, das musst du nicht. Du bist bestimmt schon tausend Mal abgewiesen worden und hast es überlebt. Sie wird es auch überleben.